Es ist schon einige Jahre her, dass im Internet Platz für alle war. Mittlerweile gibt es eine Art Verdrängungskampf und nicht alle können sich eine IP-Adresse nach dem alten IPv4-Standard leisten. Warum die Umstellung auf den aktuellen IPv6-Standard nicht länger warten darf und die Netzbegrünung eine vollständige Unterstützung für einen fairen und gleichberechtigten Zugang zum Netz bis 2025 fordert, erklärt unser Artikel von Sven Seeberg und Patrick Hanft.
Das Internet beruht auf dem Prinzip, dass alle angeschlossenen Geräte miteinander kommunizieren können. Damit Verbindungen zwischen allen Geräten aufgebaut werden können, muss jedes Gerät eine Adresse besitzen, über die dieses Gerät erreichbar ist: die IP-Adresse. Die aktuell noch vorherrschende Version 4 des IP-Adressformats (IPv4) stammt aus dem Jahr 1981 und stellt insgesamt knapp 4,3 Milliarden Adressen zur Verfügung.
Es ist offensichtlich, dass bereits heute mehr als 4,3 Milliarden Geräte mit dem Internet kommunizieren und deshalb das Prinzip der universellen Ende-zu-Ende-Erreichbarkeit bereits aufgeweicht wurde.
Durch technische provisorische Lösungen teilen sich viele Endgeräte bereits seit vielen Jahren IPv4-Adressen. Dies ist jedoch nicht nur mit vielen Problemen und Einschränkungen verbunden, es bedeutet außerdem eine Machtgefälle zwischen jenen, denen ausreichend IPv4-Adressen zur Verfügung stehen und deshalb uneingeschränkt kommunizieren können und denen, die sich Adressen teilen und deshalb auf zentrale Dienste zum Datenaustausch angewiesen sind. Denn der Betrieb von Servern benötigt ungeteilte Adressen.
Dass die Anzahl der IPv4-Adressen irgendwann nicht ausreichen würden, war bereits in den 1990er Jahren offensichtlich und die technische Internet-Community entwarf bereits damals die Nachfolge-Version IPv6, die die Zahl der zur Verfügung stehenden Adressen exponentiell vervielfacht, so dass damit mehr Adressen zur Verfügung stehen, als aktuell nach menschlichem Ermessen jemals benötigt werden. Jedem Endgerät, jeder Person und jeder Organisation stehen in der neuen Version des Protokolls quasi kostenlos in effektiv unbegrenzter Anzahl zur Verfügung.
Prinzipbedingt geht die Vergrößerung des zur Verfügung stehenden Adressraums jedoch damit einher, dass IPv4 und IPv6 zueinander nicht direkt kompatibel sind und auch wenn viel kluge Ingenieurskunst beim Entwurf der Nachfolgeversion aufgewandt wurde und der parallele Betrieb der bisherigen und der neuen Version des Protokolls leicht möglich ist und viele Übergangstechnologien entwickelt wurden, so müssen quasi alle am Internet teilnehmenden Systemen für den neuen Standard konfiguriert werden, bevor die bisherige Version in den Ruhestand geschickt werden kann. Bis dahin ist die Frage der Verteilung von IPv4-Adressressourcen im Internet auch eine Machtfrage.
In allen fünf Regional-Organisationen (RIR), die weltweit für die Verteilung von IP-Adressressourcen zuständig sind, sind IPv4-Adressen über die letzten Jahre zum Mangel geworden. Das für Europa, Russland und den Mittleren Osten zuständige ‚RIPE NCC‘ hat die letzten freien IPv4-Adressbereiche im Jahr 2019 an Internetprovider und andere Organisationen ausgegeben. Anschließend wurde eine Warteliste für die Vergabe zurückgegebener Adressressourcen eröffnet, auf der seit einiger Zeit die Zahl der wartenden Organisationen dramatisch anwächst. Die meisten auf dieser Warteliste (oder denen der anderen RIRs) werden jedoch keine Chance mehr auf Adressressourcen haben, denn dieser Mangel hat in der Zwischenzeit einen regen Handel mit IPv4-Adressressourcen zwischen Unternehmen befeuert, mit immer rasanter steigenden Preisen.
Historisch sind IPv4-Adressressourcen höchst ungleich verteilt. Unternehmen und Organisationen, die frühzeitig in den 1990er Jahren ihre Ansprüche angemeldet haben, besitzen viele der gut 200 Blöcke zu je 16,8 Millionen Adressen. Beispielsweise besitzt das US-Verteidigungsministerium 13 dieser Blöcke, Firmen wie Apple oder AT&T, aber auch Ford und Daimler jeweils einen [1]. Ein größerer Teil der Organisationen, die ursprünglich solche riesigen Blöcke zugeteilt bekommen haben, haben diese glücklicherweise zurück gegeben. Allerdings besitzen viele lange Zeit existierende Organisationen immer noch vergleichsweise große Mengen an IP-Adressen, die lange nicht vollständig genutzt werden. Ein Start-Up heutzutage muss dagegen jede einzelne IP-Adresse vergleichsweise teuer erwerben: Der aktuelle Preis für eine IPv4-Adresse auf dem Markt beträgt ungefähr 40 US Dollar. Mietpreise bewegen sich in ähnlichen Preisklassen – pro Jahr. Firmen, die als IT-Dienstleister tätig sind, benötigen schnell hunderte oder tausende IP-Adressen.
Besonders betroffen vom Mangel an IPv4-Adressen ist Afrika, wo sich 10 Personen rechnerisch eine IPv4-Adresse teilen müssen. In Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo oder Äthiopien gibt es pro 3000 Menschen eine IPv4-Adresse. In Europa gibt es immerhin knapp 1 Adresse pro Person, während in Nordamerika immerhin 5 Adressen pro Person vorhanden sind.
Die Ungleichverteilung von IPv4-Adressressourcen stellt also eine Zugangshürde für alle dar, die am Internet teilnehmen wollen und insbesondere Dienste anbieten möchten. Die begrenzte Zahl an IPv4-Adressen bedeutet jedoch gleichermaßen, dass selbst eine Umverteilung hier keine Abhilfe schaffen kann und einzig der schnelle Wechsel auf IPv6 einen Ausweg darstellt.
Google veröffentlicht laufend Statistiken dazu, welcher Anteil IPv6 an seinem Datenverkehr ausmacht. Global sind es Anfang 2022 um die 35%, in Deutschland knapp über 50% [2]. Das bedeutet umgekehrt, dass ein Diensteanbieter, der nur IPv6-Adressen besäße, für weite Teile der Nutzer*innen des Internets nicht erreichbar wäre. Da sich insbesondere Firmen nicht leisten können, einen so großen Teil von Nutzer*innen kategorisch auszuschließen, werden immer aufwändigere (und sehr teure) technische Konstrukte erfunden, um die verbleibenden IP-Adressen „effizient“ zu nutzen. Das sorgt im Umkehrschluss aber auch dafür, dass viele Anbieter sich nach wie vor bei der Umstellung auf IPv6 zurücklehnen können, weil das Internet immer noch weitgehend auch mit IPv4 funktioniert. Einige dieser erfundenen Übergangslösungen können legitime Brückentechnologien sein, aber keine davon kann das Problem der mangelnden IPv4-Adressen technisch sinnvoll langfristig lösen. Deswegen ist eine Umstellung des gesamten Internets auf IPv6 unvermeidlich.
Der aktuelle Mangel an IPv4-Adressen führt global zu einer Verfestigung einer technologischen Ungleichverteilung, zum Nachteil ärmerer Länder und weniger finanzkräftiger Organisationen und Firmen.
Um global einen fairen und gleichberechtigten Zugang zum Internet zu gewährleisten, fordert die Netzbegrünung daher alle Internetdienstleister und Netzwerkbetreiber auf, IPv6 bis spätestens 2025 vollständig zu unterstützen. Für Endkund:innen muss IPv6 unkompliziert und standardmäßig zur Verfügung stehen. Ob der eigene DSL-Anschluss bereits IPv6 unterstützt, können Privatpersonen bei diversen Anbietern online testen [3]. Die Bundesnetzagentur fordern wir auf, die Unterstützung von IPv6 wo möglich in Auflagen und Spezifikationen für die Mobil- und Festnetzversorgung aufzunehmen, denn ohne IPv6 sind schon jetzt (und insbesondere in Zukunft) Teile des Internets nicht mehr erreichbar. Die Bundesregierung und den Bundestag fordern wir auf, statt sich in Diskussionen um weitgehend unnütze Technologien wie Blockchain oder Buzzwords wie Gaia-X zu verlieren, vermehrt auf unabhängige Expert*innen zu hören, und auch Grundlagen Technologien nicht aus den Augen zu verlieren.
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_assigned_/8_IPv4_address_blocks